Die Trachten im Oberallgäu

Im Oberallgäu existieren zwei Trachten verschiedenen Ursprungs. Dabei handelt es sich zum einen um die Gebirgstälertracht, die fälschlicherweise oft als nachgemachte oberbayerische Tracht tituliert wird, und die erneuerte schwäbische Tracht. Beide Trachten gehen zurück auf die damals übliche Kleiderordnung.

Auf verschiedenen Votivtafeln sind die Vorläufer der Allgäuer Tracht oder Bauerntracht abgebildet. Die älteste von 1680 befindet sich in der Kapelle Krummenbach bei Unterjoch. Darauf sind zwei junge Burschen abgebildet, bekleidet mit grauem Kittel, schwarzer Bundhose, weiß-grauen Strümpfen, schwarzen Schuhen und grünen Hosenträgern.

Die Gebirgstracht stammt ursprünglich aus dem bäuerlichen Arbeitsgewand. Dazu durften nur selbsterzeugte Stoffe verwendet werden. Im Allgäu waren damals der Flachsanbau und die Schafzucht verbreitet, somit bestand das „Häs“ hauptsächlich aus Leinen und Schafwolle.

Die Lederhose hat ihren Ursprung in Tirol und verbreitete sich ab 1650 langsam über den Alpenraum, damals noch unbestickt. Zu dieser Zeit kamen viele Tiroler als Holzarbeiter nach Oberbayern und ins Allgäu. Allerdings konnten sich nur die reicheren Bauern eine solche Lederhose leisten, daher wurde sie anfangs oft nur als Festtracht getragen. Aber gerade als Arbeitshose wurde sie aufgrund ihrer Robustheit immer beliebter. 1796 sollte sie beim gemeinen Volk schließlich verboten werden. Dieses Verbot hat sich aber nie durchgesetzt, da sie als Arbeitshose bevorzugt wurde. Anfang 1800 wurden die Hosen aus Schaf-, Bock,- Gems-, Sau oder Hirschleder gefertigt, je nach finanziellen Mitteln. Parallel dazu waren weiterhin die tuchenen Hosen üblich, da diese billiger waren.

Die Frauentracht wird um 1840 als einfaches Häs des niederen Standes beschrieben.

Durch den beginnenden Tourismus kamen neue Einflüsse in die Gegend und so nahm die städtische Art sich zu kleiden immer mehr zu. Die Bewohner wollten modisch mit den Gästen mithalten. So schreibt Pfarrer Stürzle aus Oberstdorf 1848, dass die Gebirgstracht durch den Fremdenverkehr fast verschwunden sei. Diese Entwicklung führte dazu, dass um 1850 eine Verordnung zum Erhalt der Tracht erlassen wurde, da die Verwässerung mit der städtischen Mode zu groß wurde. Zeitgleich war Prinzregent Luitpold häufiger Gast in Oberstdorf und Hindelang. Durch das Haus Wittelsbach wurde die Tracht sehr gefördert. Wohl auch, um der Bevölkerung ein bayerisches Nationalgefühl zu vermitteln und sie so an das Königshaus zu binden.

Damals war die Tracht an sich allerdings noch nicht reglementiert und somit immer noch vielen äußeren Einflüssen unterworfen. Dies folgte erst mit der Gründung der ersten Trachtenvereine um 1890. Bis heute wird diese Tracht hauptsächlich in den Vereinen gefördert und ist in ihrem Erscheinungsbild seither weitgehend erhalten geblieben.

Die Vorläufer der Gebirgstracht werden in Aufzeichnungen und Tagebüchern des Fürstbischof Clemens Wenzeslaus von Augsburg beschrieben, was bedeutet, dass diese Tracht schon vor über 200 Jahren Bestand hatte und somit lange, bevor Prinzregent Luitpold ins Allgäu kam. Auch in späteren Publikationen wird das Gewand beschrieben. So bezeichnet z. B. 1848 Pfarrer Stützle aus Oberstdorf die Tracht als „einfache, alte Gebirgstracht“. 1863 schreibt Felix Dahn vom Tanz der Laubschnitterinnen und der „echten, uralten Sennentracht“. Auch Dr. Weitnauer hat in seinem Buch „Tracht und Gwand im Schwabenland“ bestätigt, dass die Gebirgstracht viel älter ist, als die erneuerte Tracht und bereits zwei Menschenalter vor dem Prinzregenten in Hindelang und Oberstdorf getragen wurde.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Oberallgäuer Gebirgstracht eine aus der „genehmigten“ Arbeitstracht der Bauern gewachsene Tracht ist. Im Laufe der Zeit wurde sie der Umgebung angepasst und hat sich durch Besitzverhältnisse und Herstellungsmöglichkeiten immer weiter entwickelt.

Im Gegensatz dazu war die städtisch-höfische Tracht zuerst nur der besser betuchten Bevölkerung vorbehalten. Da das Allgäu aber eine recht arme Region war, war diese recht rar gesät. Erst mit Wegfall der Kleiderordnung setzt hier eine Verbreitung ein. In einer Erklärung von Dr. Alfred Weitnauer im Jahr 1969 vermutet er, dass ein besser gestellter Personenkreis existierte, der die städtisch-schwäbische Tracht trug. Darauf weisen z. B. die erneuerten Trachten in Oberstdorf, Fischen und Hindelang hin, deren Ursprung eindeutig schwäbisch ist. Vermutlich wurde diese Tracht damals von den Handelsherren entlang der Salz- und Frächterstraßen, oder - von denen, die es sich leisten konnten - als Sonntagshäs getragen.

Lange wurde behauptet, dass nur die schwäbische Tracht die „echte“ Allgäuer Tracht sei. Die Wahrheit ist wohl, dass seit mehr als 150 Jahren sowohl die Gebirgstracht, als auch die städtisch-höfische Tracht parallel zueinander existieren. Die eine als Arbeits- und Bauerntracht, die andere als Sonntagsgwand und von der besseren Gesellschaft. Diese Erkenntnis führte dazu, dass seit 1969 die Oberallgäuer Gebirgstälertracht auch von offizieller Stelle als solche anerkannt wurde. Die Oberallgäuer Gebirgstrachtler haben viel Gegenwind bekommen, sind aber immer zu ihrem Häs gestanden und haben für ihre Identität gekämpft, was sich letztendlich gelohnt hat. Und so könnte es ein Zitat aus dem Jahrhundertbuch der bayerischen Trachtler von 1983 nicht besser beschreiben:

„Die Allgäuer sind […] eingefleischte Träger der Gebirgstracht. Nur Laien und Unbedarfte sehen in ihr eine rein oberbayerische Tracht. […] Um den Allgäuern die Kurze auszuziehen und ein erneuertes Einheitsgwandl zu verpassen, sind schon viele ausgezogen, geschafft hat es noch keiner. Den Allgäuer Trachtler erkennt man schon am edelweißbestickten Hosenträger, am hohen grünen Hut, die Föhla und Frauen aber am steingrauen Trachtenrock.“

Quellen: Die Gebirgstrachten im oberen Allgäu (Anton Köcheler
Aus Lieb zu Gebirg, Trachtenverein im Allgäu

Der Haferlschuh - ein Oberstdorfer?

Leo Dorn, Leibjäger des Prinzregenten Luitpold von Bayern und der Oberstdorfer Josef Schratt, Hofschuhmachermeister mehrerer Königshäuser hatten im Jahr 1803 die Idee, einen Schuh herzustellen, der Gemshufen nachempfunden ist. Der Jäger wünschte sich einen Schuh, mit dem man im steinigen Gebirge ebenso gut zurechtkommt, wie die flinken Kletterkünstler.

Der Sohlenrand sollte hart sein, um die Griffigkeit zu gewährleisten. Der Innenteil dagegen weich, um sich besser dem Untergrund anpassen zu können. Die schmalen Hufe der Gemsen wurden ebenfalls in diesem Entwurf aufgegriffen, indem die Laufsohle schmäler und kürzer als der Fuß, dafür aber stark unterbaut wurde. Um dem Fuß dennoch angenehm Platz zu bieten, wurde die typische Schiffchenspitze entwickelt, die wie ein Schiffsrumpf vorne über die Sohle hinausragt. Um den Schuh perfekt zu machen, wurde der Tragekomfort erhöht, indem die Knöchelpartien tief ausgeschnitten und im Gegenzug für einen festen Sitz die Fersenpartie höher gezogen wurde, als bei üblichen Halbschuhen.

Die ersten Schuhe dieser Art wurden vorwiegend von Jägern und Bauern zur Arbeit getragen, was ihnen den Namen Jägerschuh einbrachte, der auch heute noch von vielen Oberallgäuern verwendet wird. Von Touristen wurde die Kombination aus Zweckmäßigkeit und schlichter Eleganz sehr geschätzt und so verbreitete sich dieses Schuhmodell nach und nach immer mehr. Ein Schuhklassiker war entstanden.

Die oberbayerischen Haferlschuhe unterscheiden sich wesentlich von diesem Modell. Besonders beim Schiffchen wird der Unterschied deutlich, das nur im Allgäu so ausgeprägt zu finden ist. Außerdem werden zwei Schnürvarianten hergestellt. Die Seitenschnürung wird vorwiegend im oberbayerischen Raum getragen. Die ursprüngliche Mittelschnürung ist im Allgäu üblich. In vielen Vereinen wird dieser Schuh auch von den Frauen getragen.

Wie bei vielen Erfindungen ist es allerdings auch beim Jägerschuh so, dass sein Ursprung nicht mehr ganz genau nachempfunden werden kann. Daher mangelt es auch dieser Geschichte an eindeutigen Belegen. Tatsache ist aber, dass das Erscheinungsbild unserer Schuhe sich von den meisten "Haferlschuhen" im Alpenraum unterscheidet und maßgeblich zu unserer Oberallgäuer Tracht beiträgt.

Die typischen Edelweißhosenträger

Ein Markenzeichen der Oberallgäuer Gebirgstracht sind die handbestickten Edelweiß-Hosenträger. Schon bevor 1740 die Leder-Hosenträger aufkamen, waren diese bekannt. Ihr Ursprung geht also zurück bis Anfang des 18. Jahrhunderts. Damals waren die Hosenträger aus Tuch in verschiedenen Farben, hauptsächlich jedoch im heute üblichen grün. Als Hosenträger wurde oft das doppelt oder dreifach eingenähte Ende der Stoffballen verwendet. Diese besondere Verstärkung versprach eine gute Haltbarkeit.

Die Stickerei entwickelte sich nach und nach. So wurde zuerst nur der Steg bestickt. Eine der ältesten Fotografien, die diese Variante zeigen, stammt von 1850. Danach kam die komplette Vorderseite hinzu und schließlich auch die Rückseite. Im Oberstdorfer Heimatmuseum können Stickmodl mit einer Jahreszahl von 1756 bewundert werden. Heute sind die Hosenträger üblicherweise mit fünfzehn Edelweiß bestickt. Drei auf dem Steg, acht auf den Trägern vorne und vier auf der Rückseite.

Gestickt wird mit Sockenwolle oder Garn. Blütensterne und Blätter werden mit dem Blattstich gestickt, für den Stengel wird der Stielstich verwendet. Der „Butzen“ besteht aus lauter Schlaufen, die aufgeschnitten werden. Alternativ werden auch Knoten mit dem Knötchenstich gemacht. Anschließend werden dort mit anderen Farben Akzente gesetzt. Die Zacken der Hosenträger werden traditionell von Hand geschnitten.

Warum gerade Edelweiß als Stickerei verwendet wurden, ist nicht genau bekannt. Man vermutet aber, dass es auf die Armut der Region zurückgeht. Naturweiße Wolle war fast überall vorhanden und entsprechend leicht zu bekommen, was diesen Verdacht nahelegt.

Eine Weile gab es nur noch vereinzelt Stickerinnen, die diese Kunst beherrschten. In den letzten Jahren gibt es jedoch immer mehr Frauen, die das alte Handwerk wieder erlernen und so verhindern, dass die Hosenträger „industrialisiert“ werden. Bereits jetzt gibt es vermehrt Angebote zu Billigpreisen aus Fernost. Wenn man bedenkt, dass hinter einem ordentlich gestickten Paar Hosenträger mindestens 35 Stunden Arbeit stecken und beim Material auf höchste Qualität geachtet wird, kann sich jeder selbst den Wert ausrechnen.

Eine, die dieses Handwerk von Grund auf erlernt hat, ist Heidi Baumgartner aus Oberstdorf. Bereits ihre Vorfahrinnen haben Hosenträger bestickt. In Kursen gibt die Handstickermeisterin ihr Wissen weiter.